Silva und Gomez begegnen einander.
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pünktlich. Alle tägliche Runden sind beordert, zur bestimmten Zeit anverschiedenen Plätzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe; sie gehen indes, wiegewöhnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten. Keiner weiß von dem andern; jederglaubt, der Befehl gehe ihn allein an, und in einem Augenblick kann alsdann der Kordon gezogen undalle Zugänge zum Palast können besetzt sein. Weißt du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht sich's leichter als demHerzoge, da bald der Ausgang beweist, daß er recht befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, daß du so verschlossen und einsilbigwirst wie er, da du immer um ihn sein mußt. Mir kommt es fremd vor, da ich den leichterenitalienischen Dienst gewohnt bin. An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir dasSchwätzen und Räsonieren angewöhnt. Ihr schweigt alle und laßt es euch niewohl sein. Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung Flügelhätte. Neulich hört' ich ihn bei Tafel von einem frohen freundlichen Menschen sagen: ersei wie eine schlechte Schenke mit einem ausgesteckten Branntweinzeichen, umMüßiggänger, Bettler und Diebe hereinzulocken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergeführt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. Gewiß! Wer Zeuge seiner Klugheit war, wie er dieArmee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen. Wie er sich durch Freund und Feind, durchdie Franzosen, Königlichen und Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsamdurchschmiegte, die strengste Mannszucht hielt und einen Zug, den man so gefährlich achtete,leicht und ohne Anstoß zu leiten wußte! - Wir haben was gesehen, was lernen können.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein Aufstand gewesen wäre?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich noch einer bewegt, soist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die Wege bald versperren, denk ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Königs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu erhalten. Wenn derKönig hieherkommt, bleibt gewiß der Herzog und jeder, den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, daß der König kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, daß es höchst wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich überreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Königs Absicht ja nicht seinsollte zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewiß, daß man es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natürlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fürsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt es für dich.
(Herzog von Alba. - Wie er herein- und hervortritt, treten die andern zurück.)
Alba. Gomez.
Gomez (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die täglichen Runden -
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick sagen, wenn du siezusammenziehen, die Zugänge nach dem Palast besetzen sollst. Das übrige weißt du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschätzt habe, Mut, Entschlossenheit,unaufhaltsames Ausführen, das zeige heut.
Silva. Ich danke Euch, daß Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen, daß ich der altebin.
Alba. Sobald die Fürsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich, EgmontsGeheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht, die übrigen, welchebezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine wohlberechnete Sonnenfinsternis,pünktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du hier bist, seinBetragen nicht geändert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd aufs andere, ladet Gäste, istimmer lustig und unterhaltend bei Tafel, würfelt, schießt und schleicht nachts zumLiebchen. Die andern haben dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben beisich; vor ihrer Türe sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wäre.
Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl überhäufen wir sie mit dienstfertigenEhren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen ängstlichen Dank, fühlen, dasRätlichste sei, zu entfliehen, keiner wagt einen Schritt, sie zaudern, können sich nichtvereinigen; und einzeln etwas Kühnes zu tun, hält sie der Gemeingeist ab. Siemöchten gern sich jedem Verdacht entziehen und machen sich immer verdächtiger. Schon sehich mit Freuden deinen ganzen Anschlag ausgeführt.
Alba. Ich freue mich nur über das Geschehene; und auch über das nicht leicht; dennes bleibt stets noch übrig, was uns zu denken und zu sorgen gibt. Das Glück isteigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswürdige zu adeln und wohlüberlegte Taten miteinem gemeinen Ausgang zu entehren. Verweile, bis die Fürsten kommen; dann gib Gomez dieOrdre, die Straßen zu besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die übrigengefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und meld es meinem Sohne,daß er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dürfen.
(Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt. Ich fürchte, eswird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir, die still und sinnend auf schwarzenSchalen das Geschick der Fürsten und vieler Tausende wägen. Langsam wankt dasZünglein auf und ab; tief scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigtjene, angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
(Alba mit Ferdinand hervortretend.)
Alba. Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum Zeitvertreib, straßauf,straßab. Eure wohlverteilten Wachen halten die Furcht so angespannt, daß sie sich nichtzu lispeln untersteht. Die Stadt sieht einem Felde ähnlich, wenn das Gewitter von weitemleuchtet; man erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte schlüpft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grüßten uns; erhatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben mußte. »Laßt uns eilen, Pferdezuzureiten, wir werden sie bald brauchen!« rief er mir entgegen. Er werde mich noch heutewiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen, mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefällt er mir am besten. Esscheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn ich in dir denLeichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme lieferte. Zu mancher gefährlichenVerbindung lud dich der Anschein voreilig ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen, diese unachtsameFröhlichkeit. Nur vergiß nicht, zu welchem Werke ich gesandt bin, und welchen Teil ichdir dran geben möchte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es nötig haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fürsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht Mißtrauen,daß ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten. - Du erstaunst! Was du zu tun hast, höre;die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mitdir allein wünscht' ich das Größte, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Bandhält uns zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich möcht' ich alleshäufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein möcht' ich dir einprägen; auch denSinn, auszudenken, zu befehlen, auszuführen, wünscht' ich in dir fortzupflanzen; dir eingroßes Erbteil, dem Könige den brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit demBesten, was ich habe, auszustatten, daß du dich nicht schämen dürfest, unter deineBrüder zu treten.
Ferdinand. Was werd ich dir nicht für diese Liebe schuldig, die du mir alleinzuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
Alba. Nun höre, was zu tun ist. Sobald die Fürsten eingetreten sind, wird jederZugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird eilen, Egmonts Schreiber mit denVerdächtigsten gefangenzunehmen. Du hältst die Wache am Tore und in den Höfen inOrdnung. Vor allen Dingen besetze diese Zimmer hier neben mit den sichersten Leuten; dann warte aufder Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgendein unbedeutend Blatt herein, zum Zeichen,daß sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ichhalte Egmont hier, als ob ich ihm noch was zu sagen hätte. Am Ende der Galerie fordre OraniensDegen, rufe die Wache an, verwahre schnell den gefährlichsten Mann; und ich fasse Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste große Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein böser Genius. (Nachdem er den Brief gelesen, winkt erbeiden, und sie ziehen sich in die Galerie zurück. Er bleibt allein auf dem Vorderteile.)Er kommt nicht! Bis auf den letzten Augenblick verschiebt er, sich zu erklären. Er wagtes, nicht zu kommen! So war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zusein! - Es rückt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein großes Werk istgetan oder versäumt, unwiederbringlich versäumt; denn es ist weder nachzuholen, noch zuverheimlichen. Längst hatt' ich alles reiflich abgewogen, und mir auch diesen Fall gedacht,mir festgesetzt, was auch in diesem Falle zu tun sei; und jetzt, da es zu tun ist, wehr ich mirkaum, daß nicht das Für und Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt.- Ist's rätlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf undlaß Egmont mit den Seinigen, mit so vielen entschlüpfen, die nun, vielleicht nur heutenoch, in meinen Händen sind? So zwingt dich das Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wielang gedacht! Wie wohl bereitet! Wie groß, wie schön der Plan! Wie nah die Hoffnungihrem Ziele! und nun im Augenblick des Entscheidens bist du zwischen zwei Übel gestellt; wiein einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch zugerollt, dirunbewußt, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam, wie einer, der etwas hört,und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! - Trug dich dein Pferd so leicht herein und scheutevor dem Blutgeruche nicht und vor dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dichempfängt? - Steig ab! - So bist du mit dem einen Fuß im Grab! und so mit beiden! - jastreichl' es nur und klopfe für seinen mutigen Dienst zum letztenmale den Nacken ihm - Und mirbleibt keine Wahl. In der Verblendung, wie hier Egmont naht, kann er dir nicht zum zweitenmal sichliefern! - Hört!
(Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
Alba. Ihr tut, was ich befahl; ich ändre meinen Willen nicht. Ich halte, wie es gehnwill, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht gebracht hast. Dann bleib in der Nähe.Auch dir raubt das Geschick das große Verdienst, des Königs größten Feind miteigener Hand gefangen zu haben. (Zu Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.) Geh ihm entgegen.(Alba bleibt einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)